Das Wichtigste in Kürze:
- Nachkommen gelten als die engsten Familienangehörigen. Sie sind daher gesetzliche Erben mit einem besonders geschützten Pflichtteil, der die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs beträgt.
- Bei Pflichtteilsverletzungen durch lebzeitige Zuwendungen oder Verfügungen von Todes wegen können Pflichtteilserben mit der Pflichtteilsergänzungsklage die Wiederherstellung erreichen.
- Eine Möglichkeit, um einvernehmlich Pflichtteile zu eliminieren, ist der Abschluss eines Erbverzichtsvertrags. Dieser kann entgeltlich (Erbauskauf/Erbabfindung) oder unentgeltlich sein.
- Gegen den Willen der Pflichtteilserben kann der Pflichtteil nur bei qualifiziertem Verschulden durch Enterbung oder bei Erbunwürdigkeit entzogen werden. Diese Maßnahmen sind nie “grundlos” und können vom Erblasser widerrufen werden.
Erbquoten und Pflichtteile der Nachkommen
Das deutsche Familien- und Erbrecht geht von der Vermutung aus, dass die engste familiäre Beziehung zwischen Eltern und ihren Kindern besteht. Diese Kette lässt sich beliebig weit über Großeltern, Urgroßeltern, Enkel, Urenkel usw. fortsetzen – man spricht von Vorfahren bzw. Nachkommen in gerader Linie. Es liegt daher nahe, dass die Nachkommen als nächste lebende Verwandte auch an einer Erbschaft beteiligt sind.
Die Nachkommen haben nicht nur einen gesetzlichen Erbanteil, wenn die Erblasserin nichts anderes verfügt. Sie kommen zudem in den Genuss eines besonders geschützten erbrechtlichen Anspruchs, des sogenannten Pflichtteils. Dieser kann ihnen nur ausnahmsweise unter bestimmten Voraussetzungen entzogen werden.
Der Pflichtteil der Nachkommen beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs. Den Gestaltungsspielraum – wer wie viel aus dem Nachlass erben soll – können die Erblasser durch Errichtung einer Verfügung von Todes wegen, d.h. eines Testaments oder eines Erbvertrags mit Vorschriften über die Verteilung der Erbschaft nutzen. Darin kann bestimmt werden, dass die Pflichtteilserben mehr oder weniger als ihren gesetzlichen Erbanteil erhalten. Einzig der Pflichtteil darf grundsätzlich nicht unterschritten oder entzogen werden.
Ein Beispiel zur Veranschaulichung
Erblasserin Antonia ist verwitwet und hat ein Nachlassvermögen von insgesamt 1 Million Euro. Ihre einzigen Erben sind Tochter Bianca und Sohn Claudio. Ohne Testament erbt jedes der beiden Kinder 500.000 Euro.
Die Pflichtteile betragen je 500.000 € × ½ = 250.000 €. Die verfügbare Quote beläuft sich somit auf 500.000 €.
Betrachten wir nun noch eine Variante, bei der Sohn Claudio vorverstorben ist und dessen Kinder Daniela und Ernesto, die Enkel von Antonia, statt ihm das Erbe antreten:
In dieser Konstellation erhält Bianca 500.000 €, Daniela und Ernesto erhalten je die Hälfte von Claudios Erbanteil, also je 250.000 €. Die Pflichtteile betragen für Bianca 250.000 €, für Daniela und Ernesto je 125.000 €.
Was ist nun die Folge, falls die Pflichtteile ungerechtfertigt unterschritten oder entzogen werden? Zunächst einmal: gar nichts.
Eine Pflichtteilsverletzung muss durch die in ihren Pflichtteilen verletzten Erben mit der sogenannten Pflichtteilsergänzungsklage geltend gemacht werden. Dies ist erst nach der Eröffnung des Erbgangs möglich. Bei der Pflichtteilsergänzungsklage handelt es sich um eine erbrechtliche Klage mit dem Ziel, die zwingenden Pflichtteile wiederherzustellen bzw. aufzufüllen. Dazu werden die Begünstigungen derjenigen Erben und Vermächtnisnehmer, die “zu viel” erhalten, anteilsmäßig reduziert. Eine Pflichtteilsverletzung kann nicht nur durch Verfügung von Todes wegen geschehen, sondern auch durch lebzeitige Zuwendungen wie Schenkungen, Erbvorbezüge oder Abfindungen. Auch diese sind mit der Pflichtteilsergänzungsklage anfechtbar.
Einvernehmlicher Verzicht auf den Pflichtteil
Eine Möglichkeit, die pflichtteilsbedingte Einschränkung der Verfügungsfreiheit aufzuheben, ist der Abschluss eines Erbverzichtsvertrags. Dabei einigen sich Erblasser und Erben darüber, dass auf den gesamten Erbanspruch oder einen Teil davon verzichtet werden soll. Der Erbverzichtsvertrag untersteht besonderen Formvorschriften und muss notariell beurkundet werden. Als mehrseitiges Rechtsgeschäft ist ein einmal abgeschlossener Erbvertrag für alle Parteien verbindlich und kann grundsätzlich nur mit ihrer Zustimmung aufgehoben oder abgeändert werden.
Unentgeltlicher Erbverzichtsvertrag
Der Erbverzichtsvertrag ist in seiner Grundform unentgeltlich. Das bedeutet, dass eine Pflichtteilserbin oder ein Pflichtteilserbe ohne Gegenleistung auf erbrechtliche Ansprüche, insbesondere den Pflichtteil, verzichtet. Der Erbverzicht ist verbindlich, sodass spätere Vermögensentwicklungen des Erblassers seine Gültigkeit nicht beeinflussen. Das bedeutet, dass der Verzicht auch in Kraft bleibt, wenn sich mehr Vermögen im Nachlass findet, als zur Zeit des Erbverzichts erwartet wurde.
Es ist nicht nur möglich, auf den gesamten Pflichtteil zu verzichten, sondern auch bloß auf einen Teil davon. Ebenso ist es möglich, den Erbverzicht an Bedingungen zu knüpfen, etwa daran, dass eine bestimmte andere Person stattdessen einen Anspruch auf den Erbanteil erhält. Sind im Erbvertrag bestimmte Erben anstelle der verzichtenden Person eingesetzt, so fällt der Verzicht dahin, wenn diese die Erbschaft nicht erwerben.
Eine Erbin, die gültig auf ihre Ansprüche verzichtet hat, fällt im Erbgang außer Betracht. Die verzichtende Person wird also behandelt, als würde sie den Erbgang nicht erleben. Wird im Erbverzichtsvertrag nichts anderes bestimmt, so gilt der Verzicht auch für die Nachkommen der verzichtenden Person. Das bedeutet, dass diese nicht nachrücken und ebenfalls keine Ansprüche auf das Erbe haben.
Entgeltlicher Erbauskauf
Neben dem unentgeltlichen Erbverzicht sieht das Gesetz auch die entgeltliche Variante des Erbauskaufs vor. Beim Erbauskauf wird der Verzicht an eine Gegenleistung des Erblassers geknüpft. Eine solche Gegenleistung oder Abfindung kann zu Lebzeiten oder auf den Todesfall versprochen bzw. geleistet werden.
Die Gegenleistung muss in ihrem Umfang nicht unbedingt dem Wert, auf den verzichtet wird, entsprechen. Sie kann von geringerem Wert sein, aber auch von größerem. Sie kann allerdings nicht unbegrenzt hoch sein, denn auch lebzeitige Zuwendungen in Form von Abfindungen werden zum Nachlass hinzugerechnet. Verletzen sie die Pflichtteile anderer Erben, so unterliegen sie der Pflichtteilsergänzungsklage.
Ein Erbauskauf ist insbesondere dann eine sinnvolle Lösung, wenn Nachkommen einen größeren Geldbetrag benötigen, eine Schenkung aber nicht für zielführend erachtet wird. Typische Anwendungsfälle sind hierbei die angestrebte Selbstständigkeit eines erwachsenen Kindes, der Kauf einer Eigentumswohnung oder der Bau eines Eigenheims.
Einseitiger Pflichtteilsentzug
Unter bestimmten Voraussetzungen ist es für Erblasserinnen und Erblasser möglich, ihren Nachkommen den Pflichtteil einseitig zu entziehen. Dann steigt die verfügbare Quote um denjenigen Erbanteil, der den Erbinnen oder Erben entzogen wurde.
Dies ist zu unterscheiden von der Ausschlagung, bei der (Pflichtteils-)Erben aus eigenem Willen auf einen Erbanteil verzichten, auf den sie ein Anrecht hätten. Die Ausschlagung wird typischerweise dann gewählt, wenn sich im Nachlass mehr Schulden als Vermögenswerte befinden, der Erblasser also überschuldet ist.
Erbunwürdigkeit
Die Erbunwürdigkeit ist eine andere Möglichkeit, wie Nachkommen – oder andere Erben – ihre Pflichtteilsansprüche verlieren können. Es handelt sich dabei um eine Art “gesetzliche Auffanglösung” für Fälle, in denen der Erblasser nicht (mehr) imstande ist, eine gültige Enterbung zu verfügen. Die Erbunwürdigkeit gilt nur für die erbunwürdige Person selbst. Sie wird als vorverstorben behandelt, an ihrer Stelle rücken ihre Nachkommen nach.
Gründe für Erbunwürdigkeit:
- Die vorsätzliche, versuchte oder ausgeführte Tötung des Erblassers
- Das vorsätzliche Herbeiführen eines verfügungsunfähigen Zustandes beim Erblasser
- Die Manipulation einer Verfügung von Todes wegen durch Betrug, Zwang oder Fälschung