Das Wichtigste in Kürze:
- Ein Vorausvermächtnis gibt einer erbenden Person etwas zusätzlich zu ihrem Erbteil (§ 2150 BGB), ohne dass dies auf ihren Erbteil angerechnet würde. Der Erbteil verbleibt also ungeschmälert bestehen.
- Die begünstigte Person ist gleichzeitig Erbin und Vermächtnisnehmerin – sie kann beides getrennt annehmen oder ausschlagen (§§ 1942 ff., 2147 BGB).
- Das Vorausvermächtnis kann sofort nach dem Erbfall verlangt werden (§ 2174 BGB).
- Anders als eine Teilungsanordnung wird es nicht auf den Erbteil angerechnet.
- Häufig wird es genutzt, um etwa ein Kind zu bevorzugen, das sich besonders um die Eltern gekümmert hat oder das Familienhaus übernehmen soll.
Wie funktioniert ein Vorausvermächtnis?
Ein Vorausvermächtnis liegt vor, wenn eine – bereits erbberechtigte – Person zusätzlich zu ihrem Erbteil einen bestimmten Gegenstand oder Geldbetrag erhält, der nicht auf ihren Erbteil angerechnet wird (§ 2150 BGB). Der oder die Begünstigte ist also zugleich Erbin oder Erbe und Vermächtnisnehmerin oder Vermächtnisnehmer. Der Erblasser kann damit gezielt eine Person bevorzugen, etwa wegen besonderer Leistungen oder familiärer Bindung.
Praktisch bedeutet das: Neben dem Anteil am gesamten Nachlass erhält die begünstigte Person einen bestimmten Vermögensgegenstand „on top“. Dieser Anspruch entsteht mit dem Erbfall und kann sofort geltend gemacht werden, auch wenn die Erbauseinandersetzung noch nicht abgeschlossen ist (§ 2174 BGB).
Ein Beispiel: Ein Vater setzt seine beiden Kinder zu gleichen Teilen als Erben eines Nachlasses im Gesamtwert von 200.000 Euro ein und bestimmt zusätzlich, dass seine Tochter das Familienhaus im Wert von 150.000 Euro als Vorausvermächtnis erhalten soll. Das Haus gehört zwar zum Nachlass, wird aber der Tochter außerhalb der eigentlichen Erbteilung zugesprochen. Erst danach wird der verbleibende Nachlass unter den Erben aufgeteilt.
Konkret bedeutet das: Zuerst erhält die Tochter das Haus als Vorausvermächtnis. Danach wird das, was vom Nachlass übrigbleibt (hier also die restlichen 200.000 Euro an Geldvermögen) nach den Erbquoten verteilt. Die Tochter bekommt davon ihren hälftigen Anteil von 100.000 Euro, der Sohn ebenfalls 100.000 Euro. Insgesamt erhält die Tochter also Werte von 250.000 Euro (Haus plus Erbteil), während der Sohn 100.000 Euro erhält.
So wird deutlich: Das Vorausvermächtnis entstammt zwar dem Nachlass, wird aber im Voraus der Berechnungsgrundlage der Erbquote entzogen. Die begünstigte Person wird damit gezielt bevorzugt, ohne dass die Erbquoten formell verändert werden müssen.
Warum ist das Vorausvermächtnis praktisch?
Das Vorausvermächtnis ermöglicht es, eine bestimmte Person gezielt zu begünstigen, ohne die Erbquoten zu verändern. Es dient vor allem dazu, besondere Leistungen oder familiäre Bindungen zu würdigen, etwa wenn ein Kind die Eltern gepflegt oder den Familienbetrieb fortgeführt hat.
Ein großer Vorteil ist die sofortige Verfügbarkeit: Der Begünstigte kann den vermachten Gegenstand direkt nach dem Erbfall verlangen, ohne auf die Einigung der Erbengemeinschaft warten zu müssen. So lassen sich langwierige Auseinandersetzungen vermeiden.
Zugleich sorgt das Vorausvermächtnis für Klarheit und Frieden: Der Erblasser legt eindeutig fest, wer welchen Gegenstand erhält und dass dieser nicht auf den Erbteil angerechnet wird. Das beugt Missverständnissen und Streit über vermeintliche Bevorzugungen vor.
Praktisch ist auch die rechtliche Flexibilität: Wird das Erbe wegen Schulden ausgeschlagen, kann das Vorausvermächtnis trotzdem separat angenommen werden. Damit lässt sich ein bestimmter Wert oder Gegenstand sichern, ohne für Nachlassverbindlichkeiten zu haften.
Was ist der Unterschied zur Teilungsanordnung?
Ein Vorausvermächtnis unterscheidet sich ganz wesentlich von einer Teilungsanordnung. Bei einer Teilungsanordnung legt der Erblasser oder die Erblasserin lediglich fest, wer welchen Gegenstand aus dem Nachlass erhalten soll. Die Teilungsanordnung greift insoweit der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft vor, da bereits vorab eine Zuordnung einzelner Nachlassgegenstände zu konkreten Personen vorgenommen wird. Der Wert dieser Zuwendung wird aber auf den Erbteil angerechnet, sodass alle Erben am Ende gleich viel bekommen.
Beim Vorausvermächtnis ist das anders: Der zugewandte Gegenstand wird zusätzlich zum Erbteil vergeben. Der oder die Begünstigte erhält also mehr als die anderen Erben. Es handelt sich um eine bewusste Bevorzugung, die rechtlich zulässig ist, solange der Pflichtteil anderer nicht verletzt wird.
Ein Beispiel: Eine Mutter hinterlässt zwei Kindern ihren Nachlass von 200.000 Euro. Zusätzlich möchte sie, dass ihre Tochter das Elternhaus erhält, in dem diese sie jahrelang gepflegt hat. Ordnet sie im Testament an, dass die Tochter das Haus als Vorausvermächtnis bekommt, erhält die Tochter das Haus zusätzlich zu ihrem halben Erbteil von 100.000 Euro. Der Sohn bekommt 100.000 Euro. Die Tochter wird also gezielt bevorzugt – als Anerkennung ihrer Fürsorge. Würde die Mutter dagegen nur bestimmen, dass die Tochter das Haus bekommt, ohne es als Vorausvermächtnis zu bezeichnen, gälte dies in der Regel als Teilungsanordnung. Dann würde der Wert des Hauses auf den Erbteil angerechnet, sodass beide Kinder am Ende gleich viel erhalten.
Kurz gesagt: Die Teilungsanordnung sorgt für Gleichbehandlung, das Vorausvermächtnis ermöglicht unter Umständen eine sachgerechte Bevorzugung, wenn jemand Besonderes geleistet hat oder bestimmte Werte erhalten bleiben sollen.
Wann sollte man ein Vorausvermächtnis verwenden?
Ein Vorausvermächtnis eignet sich immer dann, wenn der Nachlass nicht streng gleich, sondern nach persönlicher Gerechtigkeit verteilt werden soll. Es bietet sich an, wenn eine bestimmte Person mehr zum Familienleben oder Vermögen beigetragen hat oder wenn ein emotional bedeutsamer Gegenstand in bestimmten Händen bleiben soll.
Typische Fälle sind etwa:
- Ein Kind hat die Eltern gepflegt oder den Haushalt geführt, während andere Geschwister weit entfernt lebten.
- Ein Familienmitglied führt das elterliche Unternehmen weiter und soll dafür stärker bedacht werden.
- Ein Haus, Schmuckstück oder Kunstwerk soll in der Familie bleiben, ohne dass der Wert aufgeteilt werden muss.
Ein Vorausvermächtnis ist also immer dann sinnvoll, wenn der Nachlass nicht einfach rechnerisch, sondern nach persönlicher Fairness und familiärem Zusammenhang verteilt werden soll.
Welche Auswirkungen hat es auf andere Erben?
Ein Vorausvermächtnis verändert die Verteilung des Nachlasses: Die begünstigte Person erhält mehr als die anderen Erben. Für die übrigen bedeutet das, dass sich der Nachlass, aus dem ihre Erbteile berechnet werden, entsprechend verringert. Das kann dazu führen, dass der Wert ihres Erbteils geringer ausfällt als ursprünglich gedacht.
Trotzdem müssen die anderen Erben das Vorausvermächtnis akzeptieren, wenn es im Testament eindeutig bestimmt ist. Sie sind verpflichtet, den zugewandten Gegenstand herauszugeben oder dessen Übertragung zu ermöglichen. Um spätere Auseinandersetzungen zu vermeiden, sollte deshalb im Testament klar stehen, dass der Gegenstand „nicht auf den Erbteil angerechnet wird“. Fehlt dieser Hinweis, kann das Vorausvermächtnis leicht als bloße Teilungsanordnung ausgelegt werden.
Wird ein Erbe durch ein Vorausvermächtnis stark benachteiligt, bleibt ihm dennoch der Pflichtteil, also der gesetzlich garantierte Mindestanteil am Nachlass. Dieser kann eingefordert werden, wenn der Wert des Vorausvermächtnisses den Pflichtteil verletzt.
Richtig gestaltet, führt ein Vorausvermächtnis aber selten zu Streit: Es sorgt für Klarheit, weil der Erblasser ausdrücklich festlegt, wer etwas zusätzlich erhalten soll und aus welchem Grund. Damit lässt sich vermeiden, dass sich die Erben später über die „wahre Absicht“ des Erblassers streiten.
Abschließender Tipp: Vermächtnisgegenstände vorab bewerten!
Damit ein Vermächtnis und insbesondere das Vorausvermächtnis fair und nachvollziehbar bleibt, sollte der Wert des vermachten Gegenstands möglichst genau feststehen. Besonders bei Immobilien, wertvollem Schmuck oder Unternehmensanteilen kann der tatsächliche Wert stark von der subjektiven Einschätzung der Erben abweichen.
Eine objektive Bewertung – etwa durch ein Gutachten oder eine Schätzung – hilft, spätere Streitigkeiten zu vermeiden und den Willen des Erblassers klar erkennbar zu machen. Sie zeigt, dass die Bevorzugung bewusst und nicht zufällig erfolgt ist. Gleichzeitig kann die Erblasserin oder der Erblasser auf Grundlage der Bewertung entscheiden, ob im konkreten Fall ein Vorausvermächtnis oder nicht vielleicht doch eine Teilungsanordnung sachgerechter ist.
Auch steuerlich ist der Wert wichtig, da Vorausvermächtnis und Erbteil gemeinsam den steuerpflichtigen Erwerb bilden. Wer ein Haus oder größere Vermögenswerte vermacht, sollte daher frühzeitig eine aktuelle Bewertung vornehmen oder im Testament festhalten, nach welchen Maßstäben der Wert bestimmt werden soll.
Kurz gesagt: Eine vorherige Bewertung schafft Klarheit für Erblasser und Erben gleichermaßen und setzt die Dinge ins richtige Verhältnis.